Bandoneon der Vorstadt . . .

bandoneon der vorstadt

alter, schlaffer blasebalg,
eines nachts fand ich dich

mutterseelenallein
neben einer klostertür an der unverputzten wand
im schein der laterne

bandoneon du siehst meine traurigkeit
und weißt welcher kummer auf meiner seele lastet
und mir die kehle zuschnürt

ich nahm dich mit auf mein zimmer
und wiegte dich an meiner kalten brust
auch ich war allein

mit deiner heiseren stimme wolltest du mich trösten
aber deine schmerzvollen töne
haben meinen zorn nur größer gemacht

(Übertragung: kfm)

Dieser ausdrucksstarke Tango-Text stammt von Pascual Contursi (1888  –  1932). Der große Sänger Carlos Gardel hat ihn 1928 zur Musik von
Juan Bautista Deambroggio aufgenommen.

Contursi gilt als „Padre de la Literatura Tanguística” (Vater der Tango-Literatur). Er ist einer der erfolgreichsten und besten Verfasser von Tango-Texten, in denen er am liebsten Einsamkeit und unerwiderte Liebe beschreibt. Er trat lange Zeit erfolgreich als Sänger und Gitarrist in den Cafés und Restaurants von Buenos Aires auf, bevor er ab 1920 hauptsächlich als Dichter tätig war. Er schuf unvergessene Texte wie La Cumparsita, Mi noche triste, Nueve de Julio und Toda mi vida.

Im Café „Engelchen”

Im Café „Engelchen”

ganz im leben versunken erinnere ich mich an dich,
eingehüllt in rauch,
einer angenehmen erinnerung nachhängend,
mit einer tasse schwarzen kaffees.

Rivadavia, ecke Rincón!
in alter freundschaft kehre ich an den tisch
im koketten grau zurück
und träume von den nächten damals.

Café „Engelchen”  –
die alte bar von Gabino und Cazón.
was waren das für tolle zeiten
als Carlitos in der gegend war:
Rivadavia, ecke Rincón!

was hatten sie nur für träume?
auf welchen sternen sind sie geblieben?
die stimmen, die einst kamen und gingen  –
und schwiegen  –  wo sind sie hin?
auf welcher straße kehren sie wieder?

wenn die kälte der nacht auf uns niederregnet
zieht es mich zurück an jenen längst vergangnen ort.
und immer wieder aufs neu
singt da Bettinoti direkt neben mir.

und in der süßen ecke, die ich so sehr mochte,
ist nur noch gähnen und müdigkeit.
da ruft mich keiner mehr an seinen tisch  –
es sind ja alle fort.
und auch mir bleibt nur der abschied.

(Übertragung: kfm)

Im „Café de los Angelitos”, ganz im Zentrum von Buenos Aires, wo sich die Straßen Rincón und Rivadavia kreuzen, waren der Legende nach Tango-Größen wie Carlos Gardel und José Razzano ganz am Anfang ihrer Karriere um 1915 Stammgäste. Damit stehen sie in der Tradition so berühmter Sänger wie die im Lied erwähnten Gabino Ezeiza, Higinio Cazón oder José Bettinoti. Sie alle hat später der berühmte Tango-Dichter Cátullo Castillo in seinem Liedtext auf unvergleichliche Weise verewigt. Den Namen erhielt die Bar wohl durch einen Polizeikommissar, der allabendlich seine Inspektion der Kneipe mit den Worten begann: „Mal sehn, ob keiner von den Burschen in diesem Café der Engelchen über die Stränge geschlagen hat.”